Биография Эльзы Ласкер-Шюлер, фрагменты стихотворений (на немецком языке), портрет поэтессы, её рисунки

Else Lasker-Schüler
Annäherung an eine Biographie

Jedes Wort hab ich vergoldet…
Else Lasker-Schüler

Mein Wort ist schwarz geworden…
Rose Ausländer

“Was ist ein Dichter?” fragt Sören Kirkegaard in Entweder – Oder und antwortet: “Ein unglücklicher Mensch, der tiefe Qualen in seinem Herzen birgt, dessen Lippen aber so geformt sind, dass, indem der Seufzer und der Schrei über sie ausströmen, sie klingen wie eine schöne Musik.” “Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im Rheinland. Ich ging bis elf Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich”.
So beschreibt Else Lasker-Schüler in der von Kurt Pintus herausgegebenen Lyrikanthologie “Menscheitsdämmerung” als Fünfzigjährige ihr Leben.
Geboren ist sie am 11.2.1869 als sechstes und letztes Kind einer gutbürgerlich-jüdischen Familie. Sie konnte wunderbar den Mund voll nehmen. Unvergleichliche und unvergessliche Privatwörter hat sie geprägt wie dieses aus einem Gedicht auf ihren kleinen Sohn: “Meinlingchen sieh mich an…” Und sie war frech und frei genug, eine ihrer vielen Liebespassionen in eine wollüstige, riskante Indianergeschichte zu binden wie diese:
“Im Zwielicht schmachte ich/ Gebunden am Buxbaumstamm – /Ich kann nicht mehr sein / Ohne das Skalplspiel. / Rote Küsse malen deine Messer/ auf meine Brust – / Bis mein Haar an deinem Gürtel flattert.” Das war am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Angesagt war damals in Berlin der Expressionismus, und als “Siouxhäuptling” angesprochen fühlen durfte sich der 26jährige Gottfried Benn, Arzt und Pathologe. Gerade war sein erster schockierender Gedichtzyklus aus dem Leichenschauhaus erschienen. Die 18 Jahre ältere Lasker-Schüler, damals schon berühmt, hatte sich von ihrem zweiten Mann geschieden und war als alleinerziehende Mutter in materielle Not geraten. Doch wurde sie davon nicht kleinmütig, dichtete sich selber prächtige Rollen zu, nannte sich Prinz und kleidete sich entsprechend. Sie war, lange vor Madonna, die erste Performance-Künstlerin. Im August 1914 wurde sie wegen ihrer Aufmachung in München viermal auf der Straße verhaftet
einmal auch in Prag. Für Bayern jedenfalls ergriff sie Vorsichtsmaßnahmen: Sie schmückte ihr turbangekröntes Gewand patriotisch mit einem deutschen Fahnenband und schaffte sich zusätzlich eine Schöärpe an in den königlich-bayerischen Farben blau-weiss. Kein Wunder, dass man einer solchen Person in ihrer Heimatstadt Wuppertal überwiegend Ablehnung oder nur halbherzige Anerkennung zollt
sogar bis heute: Ein Frau, die sich für freie Verhütungsmittel und die freie Liebe und zugleich für die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 einsetzte.
Anfang 1894 heiratet sie den Arzt Berthold Lasker und siedelt nach Berlin über. Dort wird 1899 ihr Sohn Paul geboren, dessen Tod (1927) sie nie verschmerzt hat. Nach ihrer Scheidung ehelicht sie um 1903 Herwarth Walden (Pseudonym für Georg Levin), den Herausgeber der Zeitschrift “Der Sturm”, von dem sie 1912 geschieden wird. Sie war eine auffällige Erscheinung. Zweifelsohne. Exzentrisch, exaltiert. Und wer weiß, vielleicht warf sie sogar einen blauen Schatten, wie sie es von Franz Marc behauptet. Als Dichterprinz Jussuf trägt sie schwarze Seide, Glöckchen um die Füße, ist glasperlengeschmückt. Gottfried Benn, der von vielen vielleicht geliebteste Geliebte, schreibt:
“Sie war klein, damals knabenhaft schlank, hatte pechschwarze Haare, kurz geschnitten, was zu der Zeit noch selten war, große rabenschwarze bewegliche Augen mit einem ausweichenden unerklärlichen Blick. Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Straße gehen, ohne dass alle Welt stillstand und ihr nachsah: extravagante weite Röcke oder Hosen, unmögliche Obergewänder, Hals und Arme behängt mit auffallendem, unechtem Schmuck…

Dienstmädchenschmuck…” Die Rede ist von Else Lasker-Schüler. Die “mit dem Jubel in der Brust!”

Seit 1899 veröffentlichte Else Lasker-Schüler Gedichte in verschiedenen Zeitschriften. 1902 kam als erstes Buch die Gedichtsammlung “Styx” heraus. Damit wurde sie bekannt.
In rascher Folge erschien weitere Lyrik. In einer eigenen Sprache schuf sie eine vorwiegend liedhafte, subjektive Dichtung der Liebe und des Glaubens, ihrer Träume und Visionen. Außer Lyrik verfaßte sie Schauspiele und Prosa. 1909 erschien das populäre Drama “Die Wupper”, in dem Else Lasker-Schüler Erinnerungen an ihre Kindheit in Elberfeld verarbeitete. Erst 10 Jahre später wurde es im Deutschen Theater (Berlin) uraufgeführt; die Bühnenmusik damals stammte von Friedrich Holländer. Nach der Veröffentlichung des “Arthur Aronymus” (1932) wurde Else Lasker-Schüler der damals bedeutendste deutsche Literaturpreis verliehen, der Kleist-Preis
allerdings nur eine Hälfte. Die Preisstifter waren halbherzig; Mitpreisträger war der heute weitgehend vergessene Richard Billinger, Autor der “Rauhnacht” und der “Asche des Fegefeuers”. Ihre bekanntesten Prosawerke sind “Das Peter Hille-Buch” (1906), “Mein Herz. Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen” (1912) und “Das Hebräerland” (1937). Die Forschung hat sich bislang relativ einseitig auf die Lyrikerin eingelassen. Sie war ebenfalls eine Pamphletistin (“Ich räume auf!”
eine Philippika gegen die Macht der Verleger), Essayistin, Theater- und Literaturkritikerin. Ihr drittes Drama “Ichundich” (1940/41) ist ein wichtiges, leider nur selten gespieltes Stück über jüngste deutsche Vergangenheit.
Ihr wohl bekanntestes Gedicht – ein Liebesgedicht mit intensiven Bildern und verblüffenden Wortverbindungen. Eine “neunzeilige Kostbarkeit”, wie Karl Kraus es genannt hat. Ein sprachliches Kleinod, gewirktes Wortgewebe mit Motiven aus Tausundeinernacht, sich rankend, wie gesagt, um die Liebe. Ein alter Tibetteppich
Deine Seele, die die meine liebet,
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.
Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.
Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit,
Maschentausendabertausendweit.
Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron,
Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon? Wer war diese Else Lasker-Schüler, diese Sprachalchimistin, die, wie sie sagt, Worte “vergoldet”? Die sich dichtend und auch malend immer wieder neu erfindet, ihr Alter gern verschweigt und sich als “Hieroglyph” tituliert, als geheimnisvolles Zeichen also. Unerklärliches Rätsel vielleicht. Die sich Weltverliebtheit und religiöse Abenteuerlust attestierte, jeden ihrer Auftritte inszenierte, sich Tino von Bagdad nannte, der blaue Jaguar oder Prinz Jussuf von Theben…
Eines war sie gewiss, eine leidenschaftliche, phantastische Dichterin. Deutsch und jüdisch zugleich. Eine, die sich schreibend am Leben hielt. Auch und vor allem, als man sie in Deutschland längst nicht mehr haben wollte, sie verprügelte auf offener Straße, ihre Kunst als “entartet” bezeichnete.
Lange bevor sie Deutschland verließ, schrieb sie das Gedicht Weltflucht :

Weltflucht
Ich will in das Grenzenlose
Zu mir zurück,
Schon blüht die Herbstzeitlose
Meiner Seele,
Vielleicht ists schon zu spät zurück.
O, ich sterbe unter euch!
Da ihr mich erstickt mit euch.
Fäden möchte ich um mich ziehen
Wirrwarr endend!
Beirrend,
Euch verwirrend,
Zu entfliehn
Meinwärts.

Else Lasker-Schüler war eine Poetin der Zeichenfeder und illustrierte ihre Werke selbst. Nach ersten literarischen Versuchen hatte sie um 1895 Zeichenunterricht bei dem Max Liebermann-Schüler Simson Goldberg genommen. “1911/12 schrieb sie mit den Briefen nach Norwegen einen Roman, in dem Text und eigenhändige Zeichnungen eng verwoben und aufeinander verweisend nebeneinander, manchmal geradezu ineinander stehen. Das Schriftbild ist für Else Lasker-Schüler ebenso Kunstwerk wie die Bildschrift.” (Ricarda Dick). Die zahlreichen Lasker-Schüler-Skizzen von ihren Freunden und die Blätter mit den Bildern ihrer poetischen Träume sind heute in alle Welt verstreut. 104 zwischen 1914 und 1936 entstandene Zeichnungen waren bis 1937 Bestand der Berliner Nationalgalerie, bevor die Nationalsozialisten sie zusammen mit anderen Kunstwerken als “entartet” entfernten. Die Dichterin war stolz darauf, dass ihre Bilder im Museum hingen. Doch die Abhängigkeit vom Verkaufserlös der Zeichnungen verletzte sie in ihrer Integrität. 1916 schrieb sie an Karl Kraus: “Meine Nerven werden verkauft von den Wänden.” Aber noch einmal die Frage: Wer war diese Else Lasker-Schüler? Sie selbst sagt über sich:
“Bin entzückt von meiner bunten Persönlichkeit, von meiner Urschrecklichkeit, von meiner Gefährlichkeit, über meine goldene Stirn, meine goldenen Lider, die mein blaues Dichten überwachen. Mein Mund ist rot, wie die Dickichtbeere, in meiner Wange schmückt sich der Himmel zum blauen Tanz, aber meine Nase weht nach Osten, eine Kriegsfahne, und mein Kinn ist ein Speer, ein vergifteter Speer. So singe ich mein hohes Lied…ich schwöre es…bei dem Propheten Darwin, ich bin meine einzige unsterbliche Liebe.”
An anderer Stelle heißt es etwas gedämpfter:
“In Elberfeld an der Wupper geboren, in Gedanken im Himmel, betreue ich die Stadt Theben und bin ihr Prinz Jussuf. Ich bin weder siebzehn noch siebenzig Jahre, habe keine Uhr und keine Zeit. Meine Bücher laufen so herum und werden einmal im Meer ertrinken. Geld habe ich einmal sehr viel und einmal gar keines. Früher habe ichs manchmal nicht geglaubt, jetzt aber weiß ich es; ich bin die Else Lasker-Schüler – leider.”
Dass sie Else Lasker-Schüler – leider war und Prinz von Theben so gerne sein wollte, zeigt den Widerspruch, der sie ein Leben lang beschäftigt hat. Nennen wir diesen Widerspruch den Riss zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Sicherlich brauchte sie ihn zum Leben, zum Arbeiten. Gleichzeitig aber zerriss er auch etwas in ihr.
“Ich weiß nicht”, sagt sie, “dass meine Hände so verschiedene Dinge tragen, in der rechten halte ich Sonnenblumen in der linken eine Peitsche.” Abends
Auf einmal musste ich singen –
Und ich wusste nicht warum?
– Doch abends weinte ich bitterlich,
Es stieg aus allen Dingen
Ein Schmerz, und der ging um

– Und legte sich auf mich. 12

“Womit schreibe ich eigentlich meine Gedichte?” fragt sie sich einmal und gibt sich selbst die Antwort: “Die schreibe ich mit… der Hand der Seele, – mit dem Flügel. Ob er vorhanden ist – Sicher! Aber gestutzt vom böswilligen Leben.”
Unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung, im April 1933 flieht sie in die Schweiz. “Von Einsamkeiten gefangen” ist ihre Seele “jubellahm”, “friert vor Hunger”. Auf einer Postkarte an den Indologen Heinrich Zimmer notiert sie im August desselben Jahres: “Ich bin zuerst in Zürich gewesen, schlief 5 Tage am Wasser. Rappelte mich langsam in die Höhe – denn die Engländer und Franzosen Dichter und holländischen Dichter mögen meine Verse und dann gings.”
Bereits 1904 – geradezu visionär – schrieb sie das Gedicht Weltende. Weltende
Es ist ein Weinen in der Welt,
Als ob der liebe Gott gestorben wär,
Und der bleierne Schatten, der niederfällt,
Lastet grabesschwer.
Komm, wir wollen uns näher verbergen…
Das Leben liegt in aller Herzen
Wie in Särgen.
Du! wir wollen uns tief küssen –
Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,
An der wir sterben müssen. Gegen den Schrecken in der Welt und die eigene Heimatlosigkeit findet sie, “taumelnd, wie eine sterbende Libelle”, Worte der Sehnsucht. In ihrem (Das) Lied der Emigrantin, das sie später Die Verscheuchte nennt, jene berühmte “Litanei der Liebe” , klingt das so: Die Verscheuchte
Es ist der Tag im Nebel völlig eingehüllt,
Entseelt begegnen alle Welten sich –
Kaum hingezeichnet wie auf einem Schattenbild.
Wie lange war kein Herz zu meinem mild…
Die Welt erkaltete, der Mensch verblich.
– Komm bete mit mir – denn Gott tröstet mich.
Wo weilt der Odem, der aus meinem Leben wich?
Ich streife heimatlos zusammen mit dem Wild
Durch bleiche Zeiten träumend – ja ich liebte dich..
Wo soll ich hin, wenn kalt der Nordsturm brüllt?
Die scheuen Tiere aus der Landschaft wagen sich
Und ich vor deine Tür, ein Bündel Wegerich.
Bald haben Tränen alle Himmel weggespült,
An deren Kelchen Dichter ihren Durst gestillt-
Auch du und ich. Als sie vor den Nationalsozialisten fliehen muss, befindet sich Else Lasker-Schüler auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie ist 64 Jahre alt, hat erfolgreich veröffentlicht, ist, wie bereits erwähnt, Kleist Preisträgerin und, mit den Worten von Karl Kraus, “die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschlands”. Doch die Reaktionen reichten auch bis zur schroffen Ablehnung wie bei Franz Kafka: “Ich stelle sie mir immer nur als eine Säuferin vor, die sich in der Nacht durch die Kaffeehäuser schleppt.” Für Friedrich Dürrenmatt aber war die Jüdin die Retterin der deutschen Sprache als die Deutschen die Juden verfolgten. Und: “Man nannte sie eine Kaffeehausliteratin und trieb sie in die Wüste.”
In Palästina, das für Juden natürlich kein Exil ist, sondern Heimkehr, fehlt ihr vieles. Die Familie, die Freunde. Die anregenden Gespräche. Die Sicherheit der Muttersprache. Die Möglichkeit zu publizieren. Und nicht zuletzt Geld. In einem Brief aus dem Jahr 1939 bezeichnet sie ihr Dasein als “ein fast unerträgliches”24.
Ihr berühmtes Gedicht vom blauen Klavier bringt ihren Zustand der Verlassenheit, ihr Gefühl der Hoffnungslosigkeit in ein bewegendes, in ein blaues Bild. Blau, diese Farbe der Sehnsucht, der Unendlichkeit, ihrer Meinung nach die Lieblingsfarbe Gottes. Mein blaues Klavier
Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.
Es steht im Dunkel der Kellertür,
Seitdem die Welt verrohte.
Es spielen Sternenhände vier
– Die Mondfrau sang im Boote –
Nun tanzen die Ratten im Geklirr.
Zerbrochen ist die Klaviatür…
Ich beweine die blaue Tote.
Ach liebe Engel öffnet mir
– Ich aß vom bitteren Brote –
Mir lebend schon die Himmelstür –


Auch wider dem Verbote

In der Schweiz hat sie offiziell Schreibverbot und wird durch die Fremdenpolizei beschattet. Ständig in Geldnöten lebt sie auch vom Verkauf ihrer Zeichnungen. Nach Ablauf der Aufenthaltsgenehmigungen reiste sie zweimal nach Palästina, um erneut in die Schweiz einzureisen. Doch inzwischen sind die Zürcher Behörden fest entschlossen, die “Petentin” fernzuhalten. Der Zweite Weltkrieg steht bevor. Die dritte Fahrt gerät zur Reise ohne Wiederkehr, ein erneutes Visum für die Schweiz wird verweigert.
Seit Ende März 1939 wohnte sie in Jerusalem, wo ihre letzten Werke entstanden: Das Schauspiel “Ichundich”: “Untergang Hitlers, den sie versinken sah!
frei nach Faust…Sie trug es hier vor etwa vier Jahren vor, und es machte starken Eindruck… “Ichundich’ ist die Abrechnung mit dem Hitlertum, schade, dass sie H’s vorausgesagtes Ende nicht mehr miterlebte”
so Dr. Adolf Wagner, Lasker-Schülers Arzt in Berlin und zuletzt auch in Jerusalem. 1943 erscheint ihre Gedichtsammlung “Mein blaues Klavier”, laut Dr. Wagner “ihr Schwanengesang”. Bis zu ihrem Tod lebt sie in Jerusalem, sucht Heimat “in der heimatlosen Welt, die verfinsterte.”
Ihre seelische Verfassung dokumentiert ein ergreifender Brief, den sie ihrem Mäzen Salman Schocken schreibt. Auszugsweise heißt es da:
“Ich war seit vorgestern wirklich sehr krank, das heißt: ich bin nun besser. Die Dimdumin beginnt, die Dämmerung, die so traurig ist wie ich. Ich hab mir das Sein in Jerusalem anders vorgestellt. Ich bin so tief enttäuscht. Das Land blieb ja dasselbe: Urland, die Schöpfung; aber ich versinke in mir und ich werde hier vor Traurigkeit sterben. Und mein Kind wird immer vereinsamt auf dem Friedhof in Berlin ruhen. Man weiß ja nicht wie alles ist, ich weiß nur, das Leben geht Hand in hand mit dem Tod. Und logisch denken wollen ist gerade so unlogisch. Ich bin so tief enttäuscht. Wenn man sich auch manchmal unterhält mit einem Menschen, so bleibt kein Blutgewebe, das verbindet. Weg ist hier weg und fort, fort. Es ist keine Wärme hier, die wandert von Haus zu Haus, kein Haus verwandt mit dem anderen Haus. Ich – namentlich bin fremd unter auswendig gelernter Schätzung und Kleinbürgerlichkeit. Ich glaube, Sie wissen, dass Paulus, der mir gar nicht so sehr gefällt, aber richtig sagt, `aber die Traurigkeit erwirkt den Tod.´…”
Auch in den dunklen Jahren im Exil schreibt Else Lasker-Schüler Gedichte, sucht und findet Worte der Versöhnung. Versöhnung, die über die Grenzen von Zeit und Raum erhaben ist. Und sie singt, trotz Bitterkeit, Seelenqual und Traurigkeit, trotz Alter, Angst und Einsamkeit
ihre Altersliebe zu dem drei Jahrzehnte jüngeren und verheirateten Wissenschaftler Ernst Simon war rein platonisch – auch am Ende ihres Lebens von der Liebe. Bezaubernd und beschwörend, anmutig und leicht. Ich liebe dich
Ich liebe dich
Und finde dich
Wenn auch der Tag ganz dunkel wird.
Mein Lebelang
Und immer noch
Bin suchend ich umhergeirrt.
Ich liebe dich!
Ich liebe dich!
Ich liebe dich!
Es öffnen deine Lippen sich…
Die Welt ist taub,
Die Welt ist blind
Und auch die Wolke
Und das Laub –
– Nur wir, der goldene Staub
Aus dem wir zwei bereitet:
– Sind!

Am 22. Januar 1945 stirbt Else Lasker-Schüler, fast 76 Jahre alt, nach schwerem Kampf an Angina Pectoris. Ihre Totenmaske, abgenommen von Jacov Löw, scheint zu lächeln. Am nächsten Tag wird sie auf dem Ölberg begraben, wo seit 1998 auf ihrem waagerechten weißen Grabstein eine senkrechte schwarze Basaltstele an die Künstlerin erinnert – erstmals in deutscher Sprache und in lateinischer Schrift auf diesem für Juden so wichtigen Friedhof.
Die Beisetzung fand am 23. Januar auf dem Ölberg statt, anwesend waren etwa 60 Trauergäste. Der aus Dortmund stammende Rabbiner Kurt Wilhelm leitete die Feierlichkeiten und trug ihr Gedicht “Ich weiß, dass ich bald sterben muß” aus dem “Blauen Klavier”-Band vor. Ich weiss Ich weiß, das ich bald sterben muß
Es leuchten doch alle Bäume
Nach langersehntem Julikuß

Fahl werden meine Träume

Nie dichtete ich einen trüberen Schluß
In den Büchern meiner Reime. Eine Blume brichst du mir zum Gruß

Ich liebte sie schon im Keime.
Doch ich weiß, dass ich bald sterben muß. Mein Odem schwebt über Gottes Fluß

Ich setze leise meinen Fuß
Auf den Pfad zum ewigen Heime.

Ihr letzter Gedichtband “Mein blaues Klavier”, 1943 in nur kleiner nummerierter Auflage in Jerusalem erschienen, trägt die Widmung: Meinen unvergesslichen Freunden und Freundinnen in den Städten Deutschlands – und denen, die wie ich vertrieben und nun zerstreut in der Welt, In Treue!

Autoren: Hajo Jahn und Petra Urban
(Diese Biografie ist in dem reich bebilderten Doppelband “Momente in Jerusalem” im Bleicher Verlag erschienen. Der von Hajo Jahn herausgegebene Doppelband ist im Handel vergriffen.)