In Polen werden die Verse der jung verstorbenen Halina Poświatowska mit anhaltender Begeisterung gelesen. In Polen eine Kultfigur, blieb sie im Ausland jahrzehntelang unentdeckt. Inzwischen wurde ihr einziger Roman ins Deutsche übersetzt. Am 11. Oktober 1967 stirbt Halina Poswiatowska wenige Tage nach einer zweiten Herzoperation in Warschau. Sie ist gerade 32 Jahre alt und hinterlässt vier Gedichtbände und einen Briefroman. Doch das genügt, um einen Mythos um diese Dichterin zu begründen. “Das Lebenswerk eines Dichters nach seiner Biografie zu interpretieren, ist in vielen Fällen fragwürdig. Selten jedoch sind Leben und Werk so eng miteinander verwoben wie bei Halina Poswiatowska”, schreibt ihre Herausgeberin und Nachdichterin Monika Cagliesi-Zenkteler.
Es genügen zwei Gedichte, um die Frau und die Dicherin aus nächster Nähe zu erfassen. “Ich bin Julia” und “Ich bin zärtlich zu Dir” sind mehr als nur ein poetisches Mini-Manifest: Sie sind das Lebensmotto Poświatowska. Beide Gedichte erschienen 1958 in ihrem Debüt “Hymn balwochwalczy” (Abgöttischer Hymnus). “Ich bin Julia” ist der Ausdruck einer überirdischen, shakespeareschen Sehnsucht nach Liebe, von der die damals 23-jährige Autorin ahnt, dass diese unerreichbar ist. Dennoch wird Poświatowska bis an ihr Lebensende das Hohe Lied der Liebe anstimmen. Liebe ist in ihrem Werk Religion. Dies zeigen klar wie ein Vollmond am Nachthimmel die Verse in “Ich bin zärtlich zu Dir”. Sie betet dort mehr die Liebe selbst, als einen direkten Adressaten an und fragt nebenbei lapidar: “Welch Religion ist das, in der man die Lippen verehrt?”
Halina Poswiatowskas Herz ist zweifach krank – sie leidet an den Folgen einer schweren Angina und sie sehnt sich nach Liebe. Das Herzleiden zieht sich die damals 10-jährige Helena Myga 1945 in einem Luftschutzkeller des heimischen Tschenstochau zu. Sie erkrankt an einer schweren Mandelentzündung, es kommt zu Komplikationen, und infolgedessen entzündet sich der Herzmuskel. Sie wird nie wieder vollkommen gesunden. Permanente Schwächeanfälle, verbunden mit Atemnot und Fieberattacken, isolieren sie. Ans Bett gebunden liest sie viel und beginnt mit ersten lyrischen Versuchen. Immer wieder muss sie für längere Zeit ins Sanatorium.
Mit 18 Jahren lernt Halina bei einer Kur in Kudowa Zdrój den ebenfalls herzkranken Adolf Ryszard Poświatowski kennen, zehn Monate später – im Juni 1954 – heiraten beide. Ihr Glück ist von kurzer Dauer: Zwei Jahre später ist Halina bereits Witwe. Nur das Schreiben und die erste öffentliche Anerkennung ihres Schaffens geben ihr einen Halt. Im Dezember 1956 debütiert Poświatowska mit den Gedichten “Szczescie” (Glück) und “Czlowiek z Annapurny” (Mensch aus Annapurna) in der “Gazeta Czestochowska”. Die Freude über diesen Erfolg soll schon bald der Angst weichen: Der Angst vor einer Herzoperation im fernen Amerika.
Dank zahlreicher Spendengelder kann ein Eingriff in den USA vorgenommen werden. Im August 1958 bricht Poświatowska mit einem Schiff nach Amerika auf. Eine Operation am offenen Herzen ist damals noch äußerst riskant und in Polen unmöglich. Sie gelingt. Während sich Halina in Philadelphia erholt erscheint in Polen ihr Debüt “Hymn balwochwalczy” (Abgöttischer Hymnus), das auch bald ausgezeichnet wird. Halina, an der US-Ostküste zur Symbolfigur polnischer Solidarität geworden, entwickelt nach der Operation großen “Lebenshunger” und will in Amerika bleiben, um das Land kennen zu lernen. Gegen den anfänglich großen Widerstand ihrer Wohltäter bleibt sie in den USA. Sie erhält ein Collegestipendium und entdeckt für sich New York. Halina bleibt und beginnt ein neues Leben – mit einer neuen Sprache, die sie mühsam erlernen muss, neuen Freunden und neuen kleinen Lieben. Ihr Herz scheint gesundet zu sein, so macht sie voller Eifer ihren Abschluss am Smith College und besucht später Sommerkurse an der Columbia University in New York.
Im fernen New York vergisst sie allerdings nicht ihre Heimat Polen. Sie schreibt ihrer Mutter und einem blinden Freund. Die Korrespondenz zwischen den beiden wird Grundlage für Halinas einzigen Prosatext, den autobiografischen Briefroman “Erzählung an einen Freund” (Piper Verlag 2000). Es ist diesmal nicht das Herz, das Halina einen Strich durch die Rechnung machen wird, sondern das Heimweh. Sie kehrt 1961 nach Polen zurück und setzt ihr Studium in Krakau fort, das sie mit dem Magister der Philosophie abschließt.
Ihren Aufenthalt in Amerika verarbeitet Halina im Reisebericht “Notatnik amerykanski” (Amerikanisches Notizbuch) und in “Erzählung an einen Freund”. Kaum ist der dünne Band erschienen, stirbt Halina nach einer Notoperation, denn plötzlich hat sie die Krankheit wieder eingeholt.
Halina Poswiatowska war zwar nicht nur, aber doch ausdrücklich eine “Poetin der Liebe”. Ungewöhnlich freizügig spricht Poświatowska über Eros und Liebe. Das war nicht nur ungewöhnlich für das erzkatholische Polen, sondern auch im Europa der fünfziger Jahre. Ihre Lyrik zeichnet sich durch eine sachliche Sprache aus, die weder zu Experimenten noch zu kitschigem Pathos neigt. In freien Versen mit verblüffend simplen Parabeln bzw. Metaphern (Schmetterling und Flügel), die Poswiatowska übermäßig einsetzt, teilt sich die Dichterin auf eine selbstironische bis groteske Art mit. Hier lässt sich eine Seelenverwandtschaft zu Wisława Szymborska ausmachen. Ansonsten steht ihr Werk zwischen den polnischen Romantikern und Klassikern á la Przybos oder Rózewicz.